Im Bus mit dem Kinderwagen morgens zur Kita fahren, mit Einkaufstaschen beladen vom Geschäft nach Hause laufen oder auf dem Rad zum Büro düsen: Frauen nutzen für ihre Alltagswege überdurchschnittlich oft den öffentlichen Nahverkehr, schwingen sich in den Sattel oder gehen zu Fuß. In der Regel unter erschwerten Bedingungen, zum Beispiel mit viel Gepäck oder mit Kindern im Schlepptau.

Und obwohl Mobilität, auch im Ruhrgebiet, stark weiblich dominiert ist, sind Frauen in der Verkehrsbranche in der Minderheit. Heißt: Sie nutzen, aber entscheiden und gestalten kaum. Umso wichtiger sind Netzwerke, die Bedürfnisse sichtbar machen und Chancengleichheit einfordern. Wie das Frauennetzwerk Ruhrgebiet (FNW), ein informelles Netzwerk von Fach- und Gleichstellungsfrauen in der Metropole Ruhr, die sich für die Implementierung des Gender Mainstreaming einsetzen. Heißt: Ihnen geht es darum, in allen Ebenen von Planung bis Durchführung die unterschiedlichen Interessen der Geschlechter zu berücksichtigen.

Wir haben mit Diplom-Pädagogin Gudrun Kemmler-Lehr und Diplom-Ingenieurin Sibylle Kelp-Siekmann vom Frauennetzwerk Ruhrgebiet gesprochen.

Ideal wäre für alle Lebensbereiche die „Stadt der kurzen Wege“

Welche Faktoren spielen für eine gelungene Mobilität aus Ihrer Sicht eine entscheidende Rolle in der Metropole Ruhr?

Unsere Ziele der Chancengleichheit setzen die soziale Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sowie eine größtmögliche Wahlfreiheit für alle Bewohner und Bewohnerinnen – unabhängig vom Geschlecht – voraus. Diese werden in der Realität durch materielle Voraussetzungen, die den Wohnort mitbestimmen sowie maßgeblich durch die Mobilitätsmöglichkeiten bestimmt. Eine „gelungene Mobilität“ sollte für alle (auch ohne Auto) eine gute Erreichbarkeit von Wohnorten, Arbeitsplätzen, Versorgungs-, Sozial-, Bildungs- und Kultureinrichtungen sowie der sozialen Kontakte und Freizeitorte ermöglichen. Ideal wäre für alle Lebensbereiche die „Stadt der kurzen Wege“, sodass „zu Fuß gehen“ oder „Rad fahren“ schnell, günstig und umweltfreundlich an Ziele des Alltags führt. Gute Mobilitätschancen sind so für „alle“ gegeben. Allerdings sind die räumlichen Strukturen und sozialen Disparitäten in der Metropole Ruhr noch recht weit von solchen Szenarien entfernt.

Gibt es Vorbilder, andere Städte, die es schon besser machen?

Gute Nutzungsmischungen und verkehrsberuhigte Stadtquartiere, zugunsten einer chancengerechten und klimaschonenden „Mobilität der kurzen Wege“, werden derzeit z.B. in den hochverdichteten, kompakten Städten wie Paris, Wien und Barcelona diskutiert und teilweise planerisch umgesetzt.

Welche Faktoren müssen dafür berücksichtigt werden?

Neben technischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Aspekten müssen die Ausprägungen des demografischen Wandels, die sozialen und räumlichen Disparitäten in den Städten sowie auf der regionalen Ebene betrachtet werden. In diesem Kontext (von arm und reich) sind zwingend auch die Geschlechterunterschiede zu analysieren und zu berücksichtigen. Dazu müssen Mobilitätsplanungen und Qualitätsverbesserungen Frauen mit ihren Alltagserfahrungen einbeziehen.

Die täglichen, notwendigen Wege ergeben sich aus den gesellschaftlichen Rollen

Wie unterscheiden sich männliche und weibliche Lebenswelten, speziell was die Bedürfnisse in Sachen Mobilität angeht?

Dass Frauen und Männer in unterschiedlicher Weise mobil sind, zeigt sich in allen Lebensphasen: Unterschiede bestehen bei der Verfügbarkeit über ein Auto, der Wahl des Verkehrsmittels und beim Mobilitätsverhalten. Denn die täglichen, notwendigen Wege ergeben sich aus den gesellschaftlichen Rollen und aus ihnen lassen sich typische Muster der Alltagsmobilität ableiten, die bei Frauen und Männern unterschiedlich sind, und sich erst allmählich angleichen.

Das heißt konkret?

Während berufstätige Männer / Familienväter weitgehend „lineare Wege“ zwischen Wohnung, Arbeitsplatz, ggfs. Einkaufs- und Freizeitorten zurücklegen, ergeben sich für Familienfrauen in der Regel netzartige, verknüpfte „Wegeketten“, wenn sie Kinder zur Kita/Schule bringen, zur Arbeit fahren und am Nachmittag das Abholen mit Einkaufen, Hobbyorten der Kinder oder der Versorgung/Pflege von Angehörigen verbinden. Je weiter die Zielorte entfernt sind, je zeitaufwendiger und komplizierter sind die Wegeketten zu bewältigen, desto mehr sind Frauen auf gut verknüpfte Nahverkehrsangebote oder eben das Auto angewiesen (soweit es im Haushalt verfügbar ist). Ärmere Haushalte, dies sind z.B. alleinerziehende Frauen, erfahren erheblich größere Mobilitätsnachteile, da sie weder stadtnahen Wohnraum noch ein Auto bezahlen können. Ähnlich geht es ärmeren jungen oder älteren Menschen mit ihren Mobilitätsbedarfen.

Was braucht es, um eine bessere Mobilität für Frauen zu erreichen? Auf welche Aspekte muss der Fokus gelegt werden?

Wichtige Aspekte für Nutzerinnen der öffentlichen Verkehrsmittel betreffen die Qualität der Angebote -Taktzeiten, Verknüpfungen, Preisgestaltung, Sauberkeit, Sicherheit in Bus und Bahn und die Gestaltung von Haltestellen sowie der Wege dorthin. Eines der wichtigsten Kriterien ist der Aspekt der Sicherheit.

Und wie wird es „sicherer“?

Breite Wege, offene Bereiche, die einsichtig und hell sind oder „integrierte“ Haltstellenbereiche, z.B. am Kiosk, Bereichen mit Publikum. Auch (Wach-)Personal, z.B. in U-Bahn-Bereichen schafft mehr Sicherheit statt anonymer Kameras. Begehungen mit Nutzerinnen zu verschiedenen Tageszeiten geben Hinweise auf Verbesserungsbedarf, etwa auf bessere Beleuchtung oder veränderte Wegführungen. Besondere Sicherheits-Anforderungen bestehen ebenso für Kinder oder Menschen mit Behinderung. Durchgesetzt haben sich bereits erhöhte Haltestellenplattformen oder abgesenkte Busse als Einstiegshilfen für alle. Insgesamt spielen auch die Instandhaltung und Pflege der Infrastruktur eine wichtige Rolle für die Alltagstauglichkeit. Defekte Fahrstühle/ Rolltreppen werden zu krassen Barrieren.

Woran liegt es, dass Bereiche wie, Mobilität, Städteplanung und Wohnungsbau bis heute vor allem männlich geprägt sind?

Bis heute wird der Verkehrsbereich, u.a. die (Nah-)Verkehrsplanung, durch eine männlich geprägte Methodik und -praxis bestimmt, die sich aus den traditionellen Ingenieurwissenschaften heraus fundiert hat – eine Männerdomäne! Denken wir z.B. an die Eisenbahntechnik, an Autobahnplanung oder das Straßenverkehrswesen.  Es fehlen deshalb differenzierte Erhebungsmethoden und Verkehrsmodelle mit geschlechterdifferenziert erhobenen Daten, dies ist gar nicht vorgesehen. Die Unterschiede des Mobilitätsbedarfs oder der Verkehrsmittelwahl bei Frauen und Männern können also weder analysiert noch abgebildet und berücksichtigt werden. Sie müssen – fallbezogen - mühsam nacherhoben werden. Erst die feministische Forschung hat dies offengelegt. Obwohl in den Verkehrswissenschaften, der heutigen Mobilitätsforschung und im Mobilitätsmanagement inzwischen Frauen studieren bzw. aus anderen Disziplinen heraus in den Bereichen der Mobilität berufstätig werden, hat sich noch wenig verändert.

 

Das Frauennetzwerk Ruhrgebiet im Internet:

https://www.rvr.ruhr/politik-regionalverband/ueber-uns/gleichstellung/frauennetzwerk/

Anna Hag

Anna Hag wurde 1982 in Gladbeck geboren. Sie studierte Medienwissenschaft und Anglistik/Amerikanistik an der Ruhr-Universität Bochum und ist Journalistin aus Leidenschaft, aktuell bei Raufeld Medien. Sie liebt spannende Menschen, emotionale Geschichten – und das Ruhrgebiet.

Autorenzeichnung: © raufeld / Martin Rümmele

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