Anna Rau ist Expertin für Urbane Sicherheit.

Der Park, der nur spärlich beleuchtet ist; der enge U-Bahn-Tunnel, der Bahnhof am späten Abend: Es gibt unterschiedliche Orte in Städten, die bei uns Menschen Angst auslösen. Manchmal reicht auch schon ein Geruch oder der Anblick von Müll aus, dass wir uns plötzlich fürchten. Warum Unsicherheit nicht gleich Unsicherheit ist, wieso sie oft nicht auf Fakten basiert und Argumenten nicht zugänglich ist – und was Städte im Ruhrgebiet dafür tun können, damit sich ihre Bewohnerinnen und Bewohner wirklich wohl fühlen, verrät Expertin Anna Rau, Geschäftsführerin des Deutsch-Europäischen Forums für Urbane Sicherheit. 

Wie würden Sie einem Laien in wenigen Worten beschreiben, was das Deutsch-Europäische Forum für Urbane Sicherheit tut? 

Das Deutsch-Europäische Forum für Urbane Sicherheit ist ein Städtenetzwerk, in dem sich Vertreterinnen und Vertreter der Kommunalverwaltung über Ansätze und Lösungen für die Gestaltung von sicheren Städten für Alle austauschen. Die Mitgliedsstädte lernen aus den Fehlern von anderen, müssen das Rad nicht neu erfinden und unterstützen sich gegenseitig mit dem Austausch sehr praktischer Informationen. Wir bearbeiten eine große Bandbreite an Themen von der Prävention von Gewalt gegen Frauen über Diskriminierung von verschiedenen Gruppen, der Sicherheit im öffentlichen Raum und organisierter Kriminalität bis hin zu Nutzungskonflikten zwischen Anwohnenden und Partygängern und dem Dauerbrenner Vermüllung von Plätzen und Parks.  

Welche Arten von Unsicherheit oder Angst unterscheiden Sie als Expertin? 

Unsicherheit und Angst sind Gefühle, die jeder Mensch evolutionsbedingt hat. Allerdings empfinden die Menschen in sehr unterschiedlichen Situationen Angst. Auch das Sicherheitsbedürfnis ist von Mensch zu Mensch verschieden. Manche Menschen fühlen sich unsicher, wenn sie allein durch einen dunklen Park gehen und andere nicht oder nur in bestimmten Parks. Interessanterweise scheint der Mensch sich im Kontakt mit fremden Menschen unsicher zu fühlen, obwohl es objektiv keinen Grund dafür gibt. Queere Menschen und Menschen mit Migrationsgeschichte erleben häufig Diskriminierung im öffentlichen Raum und haben davor Angst. Frauen wiederum haben Angst vor sexuellen Übergriffen. Angst und Unsicherheit sind individuelle Gefühle, die abhängig von den persönlichen Erfahrungen der Menschen sind.  

In vielen Umfragen kommt ans Licht, dass sich die Deutschen unsicherer als früher fühlen. Was sagt die Kriminalstatistik? Haben wir Grund dazu oder ist es eher eine gefühlte Unsicherheit? 

Objektiv gesehen leben wir in einem sehr sicheren Land. Medial werden Einzelereignisse so aufgebauscht, dass der Eindruck entsteht, es gäbe No-Go-Areas in Deutschland. Die mediale Berichterstattung lässt leider oft jede Einordnung in einem Gesamtkontext vermissen und macht damit viel gute und langjährige Präventionsarbeit kaputt.  

Dennoch fühlen sich Menschen unsicher. Leider kommen gegen die gefühlte Unsicherheit sachliche Argumente und Fakten nicht an. Nachgefragt, warum sich Menschen unsicher fühlen, kommt oft heraus, dass es Dinge wie Müll und Verschmutzung sind und der Unsicherheit keine persönliche Opfererfahrung zu Grunde liegt. Auch Veränderung im Stadtbild wie Leerstand und sterbende Innenstädte beeinflussen die Wahrnehmung der eigenen Sicherheit.  Sozialwissenschaftlich lässt sich das Unsicherheitsgefühl in einen Zusammenhang mit den unsicheren Zeiten, in den wir aktuell leben, so wie der Globalisierung und sozialen Veränderungen (Angst vor sozialem Abstieg etc.) in Verbindung bringen. Diese Ursachen der Unsicherheit lassen sich allerdings nicht mit mehr Polizei und Ordnungskräften lösen.  

„In jeder Stadt gibt es „Schmuddelecken“ in denen sich die Bürgerinnen und Bürger nicht wohlfühlen.“

Anna Rau, Expertin für Urbane Sicherheit

Sind Konfliktpotential und Unsicherheitsgefühl im urbanen Raum bzw. in Ballungsgebieten anders als in dörflichen Regionen? Und wenn ja, welche Faktoren sorgen dafür, dass es im Urbanen mehr Reibungspunkte zwischen den Menschen gibt? 

Die Gesellschaft in Deutschland wird bunter und älter. Wir leben in einer pluralistischen Gesellschaft, die sich immer weiter ausdifferenziert. Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft und Religion, alte und junge Menschen, Menschen mit Behinderung, Menschen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen beteiligen sich am gesellschaftlichen Leben. In den letzten Jahren hat die soziale Ungleichheit in Deutschland zugenommen und mehr Menschen leben in prekären Verhältnissen. Insbesondere in der Stadt treffen auf engstem Raum viele verschiedene Menschen, Kulturen, Wünsche und Ziele aufeinander. Das führt zwangsläufig zu Reibung und Konflikten, denen mit demokratischen und gewaltfreien Mechanismen begegnet werden muss.  

Das Ideal und die Idee der sozialgemischten Stadtgesellschaft entsprechen nicht mehr überall der Wirklichkeit. Stadtteile, in denen überdurchschnittlich viele Empfänger von Sozialleistungen leben, führen zu negativen Nachbarschaftseffekten, die einen direkten Einfluss auf die Lebensqualität und das Sicherheitsempfinden haben. Auch ‚Gated Communities‘ tragen nicht zu einer toleranten und akzeptierenden Stadtgesellschaft bei. 

An welchen Orten im Urbanen empfinden Menschen die stärkste Unsicherheit und warum?  

In jeder Stadt gibt es „Schmuddelecken“ in denen sich die Bürgerinnen und Bürger nicht wohlfühlen. Klassischerweise sind das Bahnhofsviertel oder Gebiete, in denen sich marginalisierte Gruppen wie Wohnungslose oder drogengebrauchende Menschen aufhalten. Auch an Verkehrsknotenpunkten, an denen viele Menschen gleichzeitig unterwegs sind und es eine hohe Fluktuation gibt, fühlen sich Menschen tendenziell eher unsicher.  

Was können Städte (im Ruhrgebiet) tun, um das Sicherheitsgefühl im öffentlichen Raum zu stärken?  

Es gibt viele Möglichkeiten, das Sicherheitsgefühl im öffentlichen Raum zu stärken. In erster Linie geht es um die Anerkennung und sehr deutliche Kommunikation der Tatsache, dass die Stadt für alle da ist und jeder ein Recht auf die Nutzung des öffentlichen Raums hat. Wer in urbanen Ballungszentren leben will, muss auch eine gewisse Toleranz gegenüber anderen Lebensentwürfen und -verläufen mitbringen.  

Es gibt keinen einfachen 10-Punkte-Plan, den Kommunen als Blaupause für die Gestaltung sicherer öffentlicher Räume nutzen könnten, dazu sind öffentliche Räume und lokale Gegebenheiten zu unterschiedlich. Dennoch gibt es ein paar Grundregeln, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen und die Kommunen bei der Gestaltung von sicheren Räumen unterstützen können. 

Dabei sollte die Devise lauten: lieber in kleinen provisorischen Schritten gemeinsam anfangen, Problem nach Problem lösen. Das ist besser als auf den großen Wurf zu warten, der alle Probleme auf einmal lösen soll, aber in der Umsetzung zu lange braucht oder nie kommt. Gerade in Räumen mit einer hohen Beschwerdelage ist es sinnvoll, schnell sichtbare, kleine Veränderungen vorzunehmen und auszuprobieren. Sollte keine oder eine unerwünschte Wirkung eintreten, können neue Ideen umgesetzt oder nachjustiert werden. Da können wir in Deutschland auch noch einiges von Nachbarländern lernen. 

Welche Rolle spielt die Stadtplanung in diesem Prozess? 

Sie spielt bei der Gestaltung des öffentlichen Raums eine zentrale Rolle. Wir alle wollen in lebendigen Städten mit einem breiten kulturellen Angebot und attraktiven öffentlichen Räumen leben. Attraktive Innenstädte ziehen viele Besucher an. Belebte Plätze und ein sozial gemischtes Publikum tragen zu einem positiven Stadtbild und einer Erhöhung des Sicherheitsgefühls bei.  

Je höher die Aufenthaltsqualität und je ansprechender die räumliche Gestaltung von Plätzen ist, desto mehr Menschen wollen die Plätze nutzen. Wichtig und sinnvoll ist es, neben den ästhetischen Aspekten verschiedene Nutzergruppen und deren Bedürfnisse bereits bei der Planung mit zu berücksichtigen. Beispielsweise werden in zentral gelegenen Grünflächen immer verschiedene Menschen mit sehr unterschiedlichen Interessen und Bedürfnissen aufeinandertreffen. Wird dies von Beginn an mit eingeplant, lassen sich Nutzungskonflikte zwischen Skatern, Familien mit kleinen Kindern und Wohnungslosen reduzieren.  

Wichtig ist aus meiner Sicht, dass Kommunalverwaltungen dafür sorgen, dass es auch ausreichend öffentliche Plätze und Aufenthaltsmöglichkeiten ohne Konsumzwang gibt. Denn zunehmend mehr Menschen können sich Getränke in Cafés nicht mehr leisten und wollen sich dennoch mit Freunden treffen.  

„Zunehmend mehr Menschen können sich Getränke in Cafés nicht mehr leisten und wollen sich dennoch mit Freunden treffen.“

Anna Rau, Expertin für Urbane Sicherheit

Wie viel professionelle Unterstützung und auch Kontrolle von außen sind nötig, damit das Miteinander gelingt? 

Soziale Maßnahmen wie Kümmerer, Parkläuferinnen- und läufer oder mobile soziale Arbeit in gemischten Teams sind tolle Ansätze, um insbesondere marginalisierte Gruppen im öffentlichen Raum zu unterstützen. Zugleich können Streetworker eine Brücke zwischen verschiedenen Gruppen bilden und als Ansprechpersonen allen Nutzenden zur Verfügung stehen. In und um Plätze mit hoher Kriminalitätsbelastung ist es auch sinnvoll, dass Polizei und Ordnungsamt Präsenz zeigen.  

Die Liste ließe sich fortsetzen, würde aber den Rahmen sprengen. Grundsätzlich ist das Thema Sicherheitsgefühl ein Politikum und kann wahlbeeinflussend sein. Deswegen ist es so heikel. Aber da es ein Gefühl ist und wie oben beschrieben auch individuell sehr unterschiedliche Ausprägungen und Ursachen hat, ist es eben so schwierig dieses Gefühl mit Maßnahmen zu verändern.  

Soziale Probleme und prekäre Lebensverhältnisse können aber nicht alleine von Kommunen gelöst werden – da braucht es politischen Willen und Maßnahmen auf Ebene des Bundes und der Länder.  

Was sind Fehler, die viele Städte machen, wenn es um den Umgang mit öffentlichen Räumen geht? 

Ein großer Fehler ist es, bei der Planung, Gestaltung und beim Management des öffentlichen Raums, nicht bedarfs- und bedürfnisorientiert vorzugehen. Gerade bei der Neugestaltung von öffentlichen Räumen, gehen Planer von einer Nutzung und Nutzergruppen aus, die dann leider in der Realität ganz anders sind. Aus Sicht der Planer ist der Platz dann sehr schön, wird aber „falsch“ genutzt – bspw. durch Wohnungslose oder als abendlicher Treffpunkt von Jugendlichen. Dadurch entstehen unweigerlich Konflikte und Probleme. Werden bereits im Planungsprozess verschiedene Nutzergruppen – meistens die Gruppen, die auch vor der Umgestaltung da waren –und deren Bedürfnisse berücksichtigt, ließen sich einige Probleme vermeiden. Zum Beispiel könnten Toiletten, Sitzgelegenheiten und Mülleimer entsprechend mitgeplant werden.  

Verdrängung zahlt sich in der Regel nicht aus. Die Problemlagen verschieben sich dadurch nur an eine andere Stelle bzw. lassen sich damit nicht lösen.

Wie wichtig ist es, Bewohnerinnen und Bewohner miteinzubeziehen? Oder verfälschen die vielleicht subjektiven Einschätzungen das Ergebnis und somit auch mögliche Maßnahmen? 

Begehungen und Gespräche mit Nutzern, Anwohnern, Pendlern, Händlern, Gewerbetreibenden, sozialen Trägern und Dienstleistern auf Plätzen mit hoher Beschwerdelage sollten ein zentrales Element des kommunalen Präventions- und Sicherheitsmanagements sein. Die Berücksichtigung der aus solchen Begehungen resultierenden Erkenntnisse sind der Schlüssel zur Gestaltung öffentlicher Räume, die hinterher gut angenommen, genutzt und als sicher empfunden werden. Es existieren zahlreiche Methoden und Anleitungen für solche Begehungen, die genutzt werden können und die Arbeit der Kommunen erleichtern.  

Klingt nach viel Arbeit… 

Bei der Beteiligung von Bürgerinnen und Bürger muss viel Zeit und Geduld in aufrichtiges Erwartungsmanagement gesteckt werden. Denn viele aufkommenden Wünsche und Ideen können nicht realisiert werden. Gerade deswegen ist es wichtig, die Beteiligung sehr gut vorzubereiten, zu begleiten und auch im Nachgang zu kommunizieren, was von den formulierten Bedarfen umgesetzt wird und was, warum nicht. Dann ist die Beteiligung bereichernd und steigert die Akzeptanz von Sicherheitsakteuren und Maßnahmen. 

 

Mehr Infos gibt es auf: https://www.defus.de/ 

 

Lebenslauf: 

Anna Rau ist seit Juni 2016 die Geschäftsführerin des Deutsch-Europäischen Forums für Urbane Sicherheit (DEFUS). Zuvor war sie bei der deutschen Opferhilfeorganisation WEISSER RING e.V. für den Bereich der Kriminalprävention zuständig, baute vereinsinterne Strukturen auf, bildete die ehrenamtlichen Mitarbeiter fort, steuerte Fachgremien und bundesweite Kooperationen. Von 2007 bis 2013 arbeitete sie für die GIZ im Bereich der Kinder- und Jugendrechte und betreute dort den Schwerpunkt der Jugendgewaltprävention. Sie war federführend für die Erstellung des Leitfadens zur systemischen Jugendgewaltprävention verantwortlich und beriet Projekte in Zentralamerika, im Kaukasus, auf dem Balkan und in Südafrika. Ihr Studium und ihren Masterabschluss hat sie an der Universität Karlsruhe (TH) und der Pontificia Universidad de Chile in Santiago in Geisteswissenschaften und Journalismus absolviert. 

Anna Hag

Anna Hag wurde 1982 in Gladbeck geboren. Sie studierte Medienwissenschaft und Anglistik/Amerikanistik an der Ruhr-Universität Bochum und ist Journalistin aus Leidenschaft, aktuell bei Raufeld Medien. Sie liebt spannende Menschen, emotionale Geschichten – und das Ruhrgebiet.

Autorenzeichnung: © raufeld / Martin Rümmele

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