„Rate mal, wer dran ist…“; „Oma, ich hatte einen Unfall und brauche Geld…“; „Sie haben im Lotto gewonnen, aber müssen noch eine Bearbeitungsgebühr überweisen…“ Es sind Sätze wie diese, mit denen das Unheil seinen Lauf nimmt, Träume zerplatzen und oft tiefe seelische Wunden verursacht werden – und das in mittlerweile erschreckendem Ausmaß: Die Zahl der Straftaten gegen ältere Menschen in NRW, vor allem durch Schock-Anrufe, Enkeltrick-Betrug oder falsche Amtsträger, steigt immer weiter. Allein im Jahr 2022, so die Kriminalstatistik, lag der angerichtete Vermögensschaden weit über 30 Millionen Euro. Eine, die das nicht tatenlos mitansehen kann, ist Hannelore Elze. Die 69-Jährige aus Schwelm hat sich zur Seniorenlotsin ausbilden lassen und sagt somit ehrenamtlich skrupellosen Verbrechern, die sich an Ahnungslosen und Hilflosen bereichern, den Kampf an.

Den Aufruf entdeckte Hannelore eher zufällig

Zu ihrer Mission kam die ehemalige Gewerkschaftssekretärin eher zufällig. „Sie sind engagiert, hilfsbereit, kommunikativ sowie über 65 Jahre alt?“ 2023 entdeckte Elze einen entsprechenden Aufruf der Kreispolizeibehörde Ennepe-Ruhr-Kreis und zögerte nicht lange. Nach einem zweitägigen Workshop mit Hauptkommissarin Kristen Gehrisch im Schwelmer Leo-Theater und Seite an Seite mit 17 weiteren engagierten Teilnehmerinnen und Teilnehmern war sie bereits einsatzfähig. „Wir wurden aufgeklärt, welche Straftaten es gibt, wie die Täter gestrickt sind, wie sie vorgehen und natürlich darüber, wie man sich schützen und andere Menschen aufklären kann“, erklärt Hannelore Elze die Unterrichtsinhalte. Und dann? Bekommen Seniorenlotsinnen und -lotsen Dienstpläne wie Polizeibeamte? „Nein, wie und wann wir uns einbringen, ist uns überlassen. Die Arbeit erstreckt sich über die Teilnahme an Messen oder Präventionsständen über das Halten von Vorträgen bis hin zu Besuchen bei Seniorinnen und Senioren. Man kann sich aussuchen, was man tut, entsprechend der eigenen Stärken.“

„Man glaubt gar nicht, wie viele schon entsprechende Anrufe erhalten haben“

Hannelore Elze selbst unterstützt sehr gern an Ständen in der Stadt. „Ich spreche die Leute direkt an, gebe einen Einblick in die neuesten Maschen und zeige auf, dass es jeden / jede treffen kann, weil die Täter und Täterinnen immer geschickter und perfider vorgehen“, erzählt sie. „Man glaubt gar nicht, wie viele schon entsprechende Anrufe oder Nachrichten erhalten haben.“ Tatsächlich wurden der NRW-Polizei allein 2022 Telefon-Betrug oder Betrugsversuche aus dem Ausland in 23 064 Fällen gemeldet, wobei die Zahl der Versuche bei unglaublichen 97,8 Prozent lag. Aus dem Inland wurden 2657 Fälle gemeldet. Die Dunkelziffer aber, so schätzen Experten, liegt weitaus höher. Viele Opfer jedoch schämen sich, dass ausgerechnet sie auf entsprechende Verbrecher und Verbrecherinnen hereingefallen sind – und schweigen, statt zur Polizei zu gehen.

Neue Masche: Die Täterinnen und Täter geben sich als Mitarbeiter der Pflegeversicherung aus

Doch was sind aktuelle Tricks? „Besonders häufig wird derzeit z. B. die Masche der falschen Pflegeversicherung praktiziert“, berichtet Hannelore Elze. „Bei den Fake-Anrufen geben sich Betrüger als Mitarbeiter aus dem Gesundheitswesen, Krankenkassen sowie den Pflegeberatungsstellen des Kreises aus. Sie versuchen dabei, Informationen über den Pflegegrad der Personen herauszufinden und Termine an den Privatadressen auszumachen.“ Haben sie dann Zutritt zur Wohnung, stehlen sie Geld, meist im Team. Eine Person klingelt an der Tür, kommt als angeblicher Vertreter der Pflegeversicherung herein und lässt unbemerkt die Tür angelehnt. Der Komplize wartet im Hausflur, schleicht sich herein und sucht in den Zimmern nach Scheinen und Wertgegenständen, während der falsche Versicherungsvertreter sein älteres Opfer in ein Gespräch verwickelt.

Auch der klassische Enkeltrick via Anruf oder längst auch via WhatsApp ist in Schwelm und Umgebung genauso weiterhin aktuell wie in allen Regionen Deutschlands. Die Täterinnen und Täter geben sich nicht nur als Enkel, sondern auch als Bekannte oder weitere Angehörige aus, die in Not sind und Geld benötigen. André Pieper, Leiter der Direktion Kriminalität der Polizei im EN-Kreis, berichtete bereits bei der Präsentation der Polizeilichen Kriminalstatistik 2023 von den stark steigenden Fallzahlen in diesem Bereich. Das A und O, so sind sich alle Beamtinnen und Beamten, sei eine verstärkte Präventionsarbeit.

„Sie nutzen das stark ausgeprägte Sozialverhalten der älteren Menschen schamlos aus“

Hannelore Elze

Und woher stammen die Betrüger und Betrügerinnen und wie kommt es, dass sie immer wieder großen Erfolg haben? „Sie nutzen das stark ausgeprägte Sozialverhalten der älteren Menschen scham- und skrupellos aus“, so Hannelore Elze. „Damit verbunden sind Höflichkeit, Anstand, Hilfsbereitschaft und auch eine gewisse Gutgläubigkeit, vor allem, wenn es um vermeintliche Amtsträger geht.“ Zudem verfügen die Kriminellen über eine gute rhetorische Ausbildung und verstehen es, ihre Opfer gezielt unter Druck zu setzen und sich deren Sozialverhalten zu Nutze zu machen. Viele der Täter, die vom Telefon aus agieren, sitzen in Callcentern im Ausland, etwa in der Türkei, Polen oder Ungarn, und rufen von dort gezielt jene in Deutschland an, deren Vorname auf ein betagteres Lebensalter schließen lässt. Durch eine spezielle Technik können Ortsvorwahlen oder Behördenanschlüsse vorgetäuscht werden. Auch im Bereich des schriftlichen Betrugs, etwa durch Phishing-Mails und Briefe von Banken, Pflegekassen, Lotterien, wird mit täuschend echten Logos und perfekten Formulierungen gearbeitet. „Das ist menschenverachtend“, bringt es Hannelore Elze auf den Punkt.

Hannelore Elze rettete ihren Nachbarn vor gemeinen Lotto-Betrügern

Die Schwelmerin selbst konnte schon ihren 81-jährigen Nachbarn vor solch gemeinen Betrügern retten! „Es schellte abends an der Tür. Es war schon spät, so 20 Uhr“, erinnert sich Hannelore Elze an den Vorfall. Ihr Nachbar hatte bei ihr geklingelt und erzählte ihr von einem Lotto-Gewinn. Satte 40.000 Euro würden auf ihn warten. „Sofort schrillten bei mir die Alarmglocken“, sagt die Seniorenlotsin. Zu Recht. Denn ihr Nachbar spielte gar kein Lotto. Die Frau am Telefon aber, so berichtete der Rentner Hannelore Elze, hätte ihm gesagt, dass er sich einfach nicht mehr daran erinnern könne, da der Gewinn schon so lange zurückläge. „Am Telefon hatte man ihm auch gesagt, dass am nächsten Tag zudem ein Notar vorbekommen würde, dem mein Nachbar einmalig 900 Euro zahlen müsse, damit er den Gewinn bekäme.“

Hannelore Elze redete auf ihren Nachbarn ein, versuchte ihm zu erklären, dass er Opfer von einem Trickbetrug geworden ist. Gleichzeitig alarmierte die Seniorenlotsin auch die Polizei. Gemeinsam beschloss man, die Betrüger beim geplanten Treffen auf frischer Tat zu ertappen. Doch es kam anders. Denn am nächsten Tag erzählte der Nachbar Hannelore Elzer, dass er einen weiteren Anruf erhalten habe. Der Notar und sein Team würden nicht vorbeikommen, er solle stattdessen Google-Play im Wert von 1000 Euro kaufen, damit er anschließend an seinen Gewinn käme. Erneut verhinderte die Schwelmerin Schlimmeres, hielt den Mann vom Gang zur Bank ab. Zusammen mit der Polizei riefen sie die Betrüger zurück. Am anderen Ende warnte eine Stimme: „Sprechen Sie nicht mit der Polizei oder den Nachbarn. Das muss alles geheim bleiben“. Nach drei Sekunden war das Gespräch beendet und auch dem 81-jährigen Opfer klar, dass er einem Betrug aufgesessen war. Dass sie die Täter damals nicht erwischen konnte, treibt Hannelore Elze bis heute um. Aber der ganze Vorfall ruft ihr auch immer wieder ins Gedächtnis, wie wichtig ihr Ehrenamt ist. Die Aufklärungsarbeit, die beharrlichen Gespräche.

„Es sollte allen Menschen ein Anliegen sein, sich zu engagieren“

Überhaupt, so Elze, die auch in der örtlichen SPD aktiv ist, sei es wichtig, in Bewegung zu sein. Um die Gesellschaft ein wenig besser zu machen und auch, um körperlich und geistig fit zu bleiben. Ist das typisch für das Ruhrgebiet, dieses Anpackende und Engagierte, wollen wir von ihr wissen? „Nein“, findet die Rentnerin, „es sollte am besten allen Menschen ein Anliegen zu sein“. Typischer für die Region sei, dass man schlichtweg nicht so viele Worte mache, um das, was man tue und über das, was einen bewege. Wichtig sei es vielen hier, direkt zum Punkt zu kommen, weltoffen zu bleiben bei allen Herausforderungen. Für die, die eher rückwärtsgewandt sind, hat sie daher wenig Verständnis. „Ohne Wandel hätten wir Stillstand – und das ist viel schlimmer als die Tatsache, dass es bei Veränderungen eben auch mal ruckelt.“

Und so wundert es nicht, dass Hannelore Elze durch ihren Einsatz als Seniorenlotsin und die damit verbundenen Erfahrungen trotzdem nicht der Schwarzmalerei verfällt. Aus ihrer Sicht ist die Welt nicht unsicherer geworden. „Es wird viel nur viel mehr darüber gesprochen. Wenn es in Panikmache abdriftet, die z.B. gern in den Sozialen Medien stattfindet, ist das der falsche Weg. Aber wenn es als sorgsame Prävention praktiziert wird, dann ist es wichtig und richtig, immer und immer wieder deutlich aufzuzeigen, was Menschen passiert und wie sie sich davor schützen können.“

Tipps der Polizei gegen den Enkeltrick

  • Seien Sie misstrauisch, wenn sich Anrufer am Telefon nicht selber mit Namen melden. Raten Sie nicht, wer anruft, sondern fordern Sie Anrufer grundsätzlich dazu auf, ihren Namen selbst zu nennen.
  • Seien Sie misstrauisch, wenn sich Personen am Telefon als Verwandte oder Bekannte ausgeben, die Sie als solche nicht erkennen. Erfragen Sie beim Anrufer Dinge, die nur der richtige Verwandte/Bekannte wissen kann.
  • Geben Sie keine Details zu Ihren familiären und finanziellen Verhältnissen preis.
  • Lassen Sie sich nicht drängen und unter Druck setzen. Nehmen Sie sich Zeit, um die Angaben des Anrufers zu überprüfen. Rufen Sie die jeweilige Person unter der Ihnen bekannten Nummer an und lassen Sie sich den Sachverhalt bestätigen.
  • Wenn ein Anrufer Geld oder andere Wertsachen von Ihnen fordert: Besprechen Sie dies mit Familienangehörigen oder anderen Ihnen nahestehende Personen.
  • Übergeben Sie niemals Geld oder Wertsachen wie Schmuck an unbekannte Personen, auch nicht an die Polizei.
  • Kommt Ihnen ein Anruf verdächtig vor, informieren Sie unverzüglich die Polizei unter der Nummer 110.
  • Sind Sie bereits Opfer eines Enkeltricks geworden, zeigen Sie die Tat unbedingt bei der Polizei an. Dies kann der Polizei helfen, Zusammenhänge zu erkennen, andere Personen entsprechend zu sensibilisieren und die Täter zu überführen.
  • Lassen Sie Ihren Vornamen im Telefonbuch abkürzen (aus Herta Schmidt wird beispielsweise H. Schmidt) oder lassen Sie den Vornamen ganz weg.
  • Bewahren Sie Ihre Wertsachen, z.B. höhere Geldbeträge und andere Wertgegenstände nicht zuhause auf, sondern auf der Bank oder im Bankschließfach.

Anna Hag

Anna Hag wurde 1982 in Gladbeck geboren. Sie studierte Medienwissenschaft und Anglistik/Amerikanistik an der Ruhr-Universität Bochum und ist Journalistin aus Leidenschaft, aktuell bei Raufeld Medien. Sie liebt spannende Menschen, emotionale Geschichten – und das Ruhrgebiet.

Autorenzeichnung: © raufeld / Martin Rümmele

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